Im Herbst, wenn die Weiden abgegrast sind, verändert sich das Futterangebot und auch der Lebensraum der Pferde. Ihr Lebensmittelpunkt ist meistens zumindest tagsüber der Paddock und das Weidegras weicht langsam dem Heu und Stroh als zentrales Raufuttermittel. Währenddessen stellt Gras über die Sommermonate für viele Pferde die vornehmliche Futtergrundlage dar.
Da es sich aber um Saftfutter handelt und das Pferd über den Winter nur Raufutter in Form von Heu zur Verfügung hatte, ist es notwendig, die Futterumstellung langsam vorzunehmen. Sind die Weideflächen nicht ausreichend groß und gehen Pferde nachts auf den Paddock oder in den Stall, gestaltet sich das Anweiden oft sehr einfach, da es bei einer Mischration bleibt. Bekommen Pferde über den Sommer ausschließlich Gras, ist der Anweideprozess länger und aufwändiger.
Mit dem beginnenden Frühjahr steigen die Temperaturen und das Gras beginnt nach dem langen Winter langsam wieder zu wachsen. Sind die Böden kälter oder sogar gefroren, findet kein Graswachstum statt und auch das Bodenleben ruht. In den ersten warmen Wochen erreichen die Bodentemperatur über 5-8 Grad Celsius. Ausreichend Feuchtigkeit und Nährstoffe sowie strahlender Sonnenschein geben dem Gras nun alles, was es braucht, um schnell und satt wachsen zu können. Dazu produziert es via Fotosynthese Kohlenhydrate, zunächst zum Blattwachstum aber auch zur Einlagerung in die Wurzel.
Besonders im März und April ist das Gras, je nach Landstrich, daher enorm zuckerhaltig. Die Werte sind so hoch, dass das Gras für Pferde schlicht noch nicht geeignet ist. Erhalten Pferde ungebremst Zugang zu diesem Futtermittel, kommt es schnell zu Hufrehe und Gaskoliken. Daher sollte man die Weide im März und April auch meiden und frühestens zum Ende April mit dem Anweiden der Pferde beginnen. Dies ist jedoch abhängig von der Höhenlage und Witterung. In den Mittelgebirgen kann es sein, dass das Anweiden erst im Mai beginnen kann. Eine gute Orientierung für Pferdebesitzer ist, unabhängig von Wohnort und Witterung, die Obergrasblüte. Eine für den Pferdebesitzer einfach zu erkennende Pflanze ist das wertvolle Knaulgras (Dactylis glomerata) mit seinen markanten Blütenständen. Erst wenn diese voll entwickelt sind und erste Samen zu Boden fallen, beginnt die Anweidezeit auf dieser Fläche.
Leider ist es vielerorts üblich, die Pferde in den ersten warmen Tagen des Jahres schon auf die Weide zu stellen oder ein Datum als Fixpunkt zu setzen. So lassen manche Betriebe ihre Pferde am „Stichtag 01. Mai“ auf die Weide, unabhängig davon, ob dort etwas gewachsen ist oder nicht. Manchmal nutzen Pferdebesitzer auch die ersten Sonnentage zum Weidegang ohne jegliche Vorbereitung. Diese befinden sich meistens im Februar oder Mitte März. Sinnvoll ist das nicht, da die Böden gerade erst aus dem Winterschlaf erwachen und die Pflanzen auf der Weide noch von letztem Jahr übrig sind. Diese können sehr stark mit Pilzen belastet sein und schädigen mit den Pilzgiften die Leber der Pferde. Es hat außerdem noch keinerlei Graswachstum stattgefunden und die vorhandenen Gräser werden stark verbissen und damit geschädigt.
Auch beim frühen Anweiden an Weges- und Straßenrändern ist Vorsicht geboten: Bakterien durch Hundekot, Streusalz oder eine frühe Düngung der Nachbarfläche durch den Landwirt kann für ein Pferd zu lebensgefährlichen Vergiftungen führen. Daher gilt beim Anweiden der Grundsatz: Lieber zu spät als zu früh und nur auf geeigneten Flächen.
Viele Gräser sind einjährige Pflanzen. Gibt man ihnen nicht die Möglichkeit Samen zu produzieren, wird diese Graspflanze im kommenden Jahr nicht mehr auf der Pferdeweide wachsen. Das bedeutet, dass das Anweiden erst beginnt, wenn die Obergräser beginnen ihre Samen zu verstreuen. Eine gut gepflegte Weide steht dann auch mindestens 30cm hoch. So kann die Artenvielfalt erhalten werden.
Der Verdauungstrakt des Pferdes ist sehr empfindlich. Daher erfolgt die Umstellung auf ein neues Futtermittel, wie hier von Heu zu Gras, auch langsam. Bei gesunden Pferden ohne Einschränkungen oder besonderen Empfindlichkeiten, kann man als Pferdebesitzer mit einer Weidezeit von 15 Minuten beginnen. Dabei ist besonders auf das Verdauungsverhalten der Pferde zu achten. Im besten Falle kann man nach drei Tagen die Anweidezeit problemlos um weitere 10 bis 15 Minuten ansteigen lassen. Je später im Jahr angeweidet wird, desto unproblematischer ist der Prozess normalerweise.
Das langsame Anweiden gibt der Darmflora die Möglichkeit sich langsam an das neue Futterangebot und die Nährstoffe zu gewöhnen. Würde man ein Pferd zu schnell anweiden, käme es zu großen und rasanten Veränderungen der Darmflora. Diese resultieren meistens in Kotwasser, Durchfällen und schwerer Gasbildung im Dickdarm des Pferdes bis hin zur Kolik. Die Umstellung der Darmflora benötigt mindestens 6 Wochen, um sich komplett auf das neue Futter einzustellen. In dieser Zeit kann es immer mal zu kleinen Aufgasungen kommen, die der Pferdebesitzer aber für gewöhnlich durch ausgedehnte Ausritte und intensiverer Arbeit mit dem Pferd gut managen kann. Nehmen die Aufgasungen jedoch überhand, sollte man die Weidezeit wieder reduzieren, bis sich das Pferd besser adaptiert hat. Ruhige aber länger anhaltende aerobe Arbeit in Schritt und Trab sind im Anweideprozess sinnvoller als viel Galopparbeit. Das Pferd darf aber natürlich schwitzen. Kommt das Pferd jedoch mit stark geblähtem Bauch, einem sehr müden Blick oder auffallend klemmigem Gang von der Weide und lässt sich kaum anfassen, sollte ein Tierarzt hinzugezogen werden. Bis zum Eintreffen sollte man das Pferd bewegen damit Gas besser abgesetzt werden kann.
Beim Anweiden zeigen viele Pferde ein wenig breiigen Kot oder Kotwasser. Sofern es sich nicht um langanhaltenden Durchfall handelt, ist dies ein normales Phänomen, was auch von allein wieder abklingt.
Gras enthält eine deutlich höhere Menge an Wasser als Heu. Auch daran muss sich das Pferd gewöhnen. Pferde nehmen in 24 Stunden durchaus 50kg Gras auf, die aus großen Mengen an Wasser bestehen können. Das wirkt sich auf die Nierentätigkeit aus. Das Pferd scheidet deutlich mehr Harn aus und trinkt gleichzeitig nicht mehr so viel wie im Winter. Trotzdem muss immer frisches und sauberes Trinkwasser zur Verfügung stehen.
Während die Vegetationsperiode weiter voranschreitet, entwickeln die Gräser immer mehr Rohfaser zur Stabilität der Halme aber auch ihre Blüten und Samen. Kurz vor der Gräserblüte ist die Weide am reichhaltigsten. Sie enthält große Mengen an Eiweiß und Zucker. Sobald auch die Mittelgräser blühen, sind die meisten Pferde bereits gut angeweidet. Eine bis zwei Stunden Weidezeit können nun ein ganzes Kilogramm Hafer ersetzen. Vielfach muss nun keinerlei Kraftfutter mehr gefüttert werden.
Nach der Blüte verlieren die Gräser langsam die hohen Zucker- und Eiweißgehalte und die Hauptweidezeit kann beginnen. Die Pferde können nun langsam auf drei bis sechs Stunden angeweidet werden. Je nach Landstrich ist es nun bereits Anfang Juli und je nach Pferd ist eine Weidezeit von 24 Stunden möglich. Allerdings sollte man die Weide auch über den Sommer pflegen. Eine Überweidung der Grünflächen ist immer zu vermeiden, da kurzes, abgenagtes Gras aus Stress sehr hohe Zuckerwerte entwickeln kann.
Auch die Fruktanwerte sind in kurzem und gestressten Gras sehr hoch. Um die Fruktane ranken sich in der Pferdewelt viele Mythen. Zunächst sei gesagt, dass Fruktane nicht giftig sind. Es ist lediglich das Übermaß, also eine viel zu große Menge, die für das Pferd problematisch werden kann. Bei den Fruktanen handelt es sich um Speicherkohlenhydrate, die durch die Pflanze erzeugt werden. Sie dienen der Pflanze als Frostschutz, aber können auch die Wasseraufnahme durch die Wurzel vergrößern. Daher produziert die Pflanze sowohl bei tiefen Temperaturen als auch in großer Hitze vermehrt Fruktane. Diese Fruktane sind für das Pferd nicht verdaulich, da ein Pferd das nötige Enzym „Fructase“ nicht besitzt. Die Fruktane gelangen also unverdaut in den Dickdarm wo sich vor allem Darmbakterien wie die Enterococcen darüber freuen. Fruktane gehören also zum natürlichen Nahrungssprektrum des Pferdes. Nimmt das Pferd aber zu viele Fruktane auf, können diese das Gleichgewicht der Darmflora massiv stören. Einige Darmkeime erleben ein sprunghaftes Wachstum, andere wiederum werden absterben. Dadurch entsteht die Hufrehe. Daher verbietet sich das Anweiden und Beweiden bei tiefen Temperaturen oder Frost genauso wie das Beweiden von kurzen abgenagten Flächen.
Weiden müssen gepflegt werden. Daher gehört eine Weideruhe über Winter zu einer gesunden Weide dazu. Neben dem absammeln, schleppen und mulchen müssen auch Nährstoffe über eine gezielte Düngung per Kunstdünger oder Kompost zurückgeführt werden.
Bei sehr empfindlichen und gesundheitlich vorbelasteten Pferden kann es sinnvoll sein, die Weidezeit erst Ende Mai einzuläuten und erst dann auch mit dem Anweiden zu beginnen. Das trifft vor allem Pferde mit Adipositas oder bereits hufrehegeschädigte Pferde. Wenn ein Weidegang möglich ist, kann dieser nur über die Sommermonate stattfinden, nicht im Frühjahr. Diese Pferde müssen Minutenweise angeweidet werden. Beginnend bei fünf Minuten steigert man vorsichtig alle drei Tage die Anweidezeit um weitere fünf Minuten. Die beste Zeit mit dem Anweiden zu beginnen ist der späte Nachmittag.